THESEN ZUM BIERKULTURBERICHT -
Teil 1

Von Conrad Seidl

THESE 1
"BIERKULTUR IST UNERMESSLICH WERTVOLL. ABER MAN KANN SIE VERMESSEN.“

Am Anfang war die Idee, eine Bestandsaufnahme der Bierkultur zu machen. Gehört Bier zur österreichischen Kultur? Diese Frage hat das Linzer ‚market Institut‘ ganz zu Beginn der Serie von Umfragen gestellt, die dem österreichischen Bierkulturbericht zugrunde liegen. Und schon vor 10 Jahren haben 46 % der erwachsenen Österreicher gesagt, dass Bier „sehr wichtig“ für die österreichische Kultur ist – inzwischen ist das auf über 50 % angestiegen – und wenn man weiter abstuft, findet sich kaum jemand, der sagen würde, dass Bier ganz und gar nicht zur österreichischen Kultur passen würde.

Klar, Österreich ist auch ein Weinland, aber die Österreicher sind viel toleranter als man ihnen nachsagt: Einen Gegensatz zwischen Bierkultur und Weinkultur gibt es in der Praxis nicht. Auch das lässt sich mit den Methoden der Demoskopie feststellen: Das Image des Bieres hat gegenüber dem des Weines aufgeholt, auch das Image der Biertrinker ist über die Jahre immer besser geworden. Und das hat wiederum Rückwirkungen auf die Wirtschaft und die Gesellschaft: Eine positive Stimmung rund um den Genuss von Bier färbt auf die gesamte Entwicklung des Landes positiv ab – so ist die Bierkultur auch für die Wirtschaft wertvoll.

Man kann das durchaus historisch begründen. Im ersten Bierkulturbericht wurde auf Forschungen verwiesen, denen zufolge der Mensch vor Urzeiten sesshaft geworden ist, um Bier zu brauen – Jäger und Sammler sowie nomadische Viehhirten kennen keinen Ackerbau, kennen kein Bier. Erst kommt die Agrikultur und mit ihr das Bier. Und mit dem Bier das Rad, die Dampfmaschine, die Elektrizität, die Computer und all das Andere, das unser Leben modern erscheinen lässt – viel an technischer Innovation wurde ja eigens für Brauereien entwickelt.

THESE 2
„ÖSTERREICH HAT EINEN FESTVERANKERTEN GRUNDSTOCK AN BIERKULTUR.“

Seit vielen Jahrzehnten sind die Österreicher ganz weit vorne, wenn es um den Bierkonsum geht. Das ist erfreulich für die Brauwirtschaft. Das ist erfreulich für die Gastronomie, für die Tourismuswirtschaft, für den an jedem Schluck Bier ein bisschen „mittrinkenden“ Finanzminister. Aber vor allem ist es erfreulich für die Biergenießer selber.

Fragt man, warum die Menschen hierzulande gerne Bier trinken, dann sieht man rasch, wie tief die Bierkultur in der Gesellschaft verankert ist: Bier wird, wie die gesamte Serie von 10 Bierkulturberichten zeigt, vor allem als ein soziales Getränk wahrgenommen – wer Freunde trifft, geht mit ihnen „auf ein Bier“ (auch wenn es, streng genommen, nicht unbedingt bei einem Bier bleibt).

THESE 3
„BIERKULTUR LEBT VOM WISSEN ÜBER DAS BIER, DENN WER SICH AUSKENNT, GENIESST MEHR.“

Für jeden dritten Biergenießer steht der Genuss selbst als Motiv im Vordergrund, wenn er oder sie ein Bier bestellt. Es ist eine Geschmackssache. Und Geschmack ist etwas, was man lernen kann – eigentlich: lernen muss. Denn in der Verfeinerung des Geschmacksempfindens liegt eine Kernkompetenz des Genussmenschen.

Wie schmeckt das, was wir essen? Wie schmeckt das, was wir trinken? Welche Aromen nehmen wir wahr? Was assoziieren wir damit? Was ist unsere Geruchs-, was unsere Geschmacksreferenz?

Und da tut sich in Österreich viel. Man kennt heute Früchte, von denen man vor 50 Jahren noch gar nichts gehört hatte. Man kostet zumindest gelegentlich Speisen, deren Rezept uns in den 1970er Jahren noch viel zu exotisch erschienen wäre. Und man hat die Zeit, darüber nachzudenken, an was
dieser Duft, an was jener Geschmack erinnert.

Natürlich riecht und schmeckt Bier vor allem einmal nach – Bier. Aber eben nicht nur. Denn der Eindruck, den uns Bier vermittelt, ist geprägt von seinen Zutaten, von süßen Malztönen, von herbem Hopfengeschmack, von feiner Säure (ja: Gärungs-Kohlensäure prägt den Biereindruck, wie manchem erst auffällt, wenn das Bier ausnahmsweise schal ist). Aber das Malz kann geschmacklich noch mehr bringen: Karamell- oder Rösttöne, vielleicht auch Raucharoma oder ein mehr oder weniger cremiges Mundgefühl. Ähnlich der Hopfen: Der duftet je nach Sorte nach Kräutern oder Früchten, nach Heu oder Blumen, nach Orangenschale oder frischem Gras. Und die Hefe bringt neben verschiedenen Gärungsalkoholen ebenfalls eine ganze Palette von Düften und eben die prickelnden Gasbläschen ins Bier ein.

Man könnte stundenlang darüber reden, und das tun auch immer mehr Biergenießer. Wer sich darüber Gedanken macht, was da aus dem Glas heraus duftet und warum, hat mehr vom Biergenuss. Es ist nicht viel anders als beim Wein. Auch da konnte man bis vor gar nicht so langer Zeit in Österreich allenfalls rot und weiß, Heurigen und Altwein unterscheiden. Das war zu der Zeit, als die meisten Konsumenten vom Bier auch nur wussten, dass es da Helles und Dunkles sowie saisonal Bock gibt.

Aber das Wissen ist breiter, das Verständnis tiefer geworden: Man spricht mehr darüber, wo Essen und Trinken herkommen – und genießt mit mehr Sachverständnis. Gerade beim Bier.

THESE 4
"GUTE BIERGASTRONOMIE IST DIE VORAUSSETZUNG FÜR EINEBREIT VERANKERTE BIERKULTUR.“

Es ist nicht zu übersehen: Österreichs Bierlokale werden von Jahr zu Jahr besser – das betrifft ihr Erscheinungsbild, das betrifft ihr Bierangebot, das betrifft aber vor allem auch die Menschen, die dort arbeiten und kundig Bier ausschenken. 2,3 Mio. hl im Jahr 2017. Das ist eine beachtliche Menge

an Genuss, der da serviert wird. Auch wenn man sein Bier genauso daheim trinken kann – der heimische Kühlschrank lächelt einen eben nicht an, wenn man ihm das Bier entnimmt, er sagt auch nicht „Zum Wohl!“. Mehr noch: So gut man den Kühlschrank auch bestücken mag – er kann einem keinen Rat geben, welches Bier gerade zur Saison, zur Tageszeit, zum jeweiligen Essen passt.

Hier liegt eine Kernkompetenz der Gastronomie, hier gibt es Spitzenleistungen, aber auch wahrgenommenen Verbesserungsbedarf in etlichen Betrieben und für etliche Zielgruppen: Viele Konsumenten, gerade jene mit hoher Markentreue, die in „ihr“ Bier geradezu verliebt sind, wollen ja vor allem das gewohnte Bier in bester Qualität gezapft und mit ebenso gewohnter Freundlichkeit serviert bekommen.

Aber der Bierkulturbericht zeigt eben auch auf, dass die Ansprüche verschieden sein können: Gleich am benachbarten Tisch sitzt vielleicht ein Gast, der die Bierkarte aufmerksam studiert und ein besonderes Bier verlangt, das den treuen Stammgast überhaupt nicht interessiert. Hat der eine

Gast recht oder der andere? Wohl beide. Und beide wollen und sollen bekommen, was sie verlangen. Es ist daher kein Zufall, dass mehr als die Hälfte der für den Bierkulturbericht befragten Bierfreunde ein breites Bierangebot in der Gastronomie wünschen.

Immerhin: Sie bekommen es auch in einem hohen Maße.

THESE 5
„OHNE BIER VIELFALT IST DIE BIERKULTUR IN GEFAHR, ZU VERKÜMMERN.“

Im ersten Bierkulturbericht 2009 war von einem Gleichnis zu lesen: Was halten wir von einem Menschen, der sich für einen Gemüseexperten hält, aber gleichzeitig versichert, nur Karfiol und zwar nur der aus seiner Heimatregion wäre das einzig genießbare Gemüse? Was hielten wir von einem

Gemüsehändler, der eben nur jenen Karfiol anbieten würde? Und würden wir nicht einen Bauern, der ausschließlich Karfiol anbaut, wegen seiner Monokultur schelten? Monokultur ist so ziemlich das Gegenteil von wirklicher Kultur.

Ebenso bei der Bierkultur: Da freut es uns, wenn es Brauer gibt, die regionale und überregionale Spezialitäten anbieten. Wir freuen uns über ein breites Sortiment im Handel, wo diese regionalen Marken neben nationalen und internationalen Marken angeboten werden – ähnlich wie beim

Gemüse, wo wir den Karfiol aus unserer eigenen Region, die Erdäpfel aus dem Sauwald oder dem Waldviertel, aber auch gelegentlich eine importierte Avocado oder eine Aubergine schätzen.

Beim Bier hilft ein Blick auf die Statistik, den Wandel zu verstehen: Allein seit dem Erscheinen des ersten Bierkulturberichts sind 100 neue Braustätten dazugekommen. Jede davon mit einer breiten Palette unterschiedlicher Biere. Viele dieser Biere sind ein Minderheitenprogramm. Denn ein Großteil der Biertrinker hält sich ja an das Bewährte.

Aber selbst wer immer zu denselben ein bis drei verschiedenen Bieren greift, weiß zu schätzen, dass er oder sie genauso etwas ganz anderes verlangen könnte. Auch wenn das eventuell nie passiert – oder aber vielleicht schon morgen. Wer weiß?

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