THESEN ZUM BIERKULTURBERICHT -
Teil 2

Von Conrad Seidl

THESE 6
"BIERTRINKER SIND KONSERVATIV BEI IHRER GETRÄNKEAUSWAHL.“

Tabellen verleiten dazu, die großen Zahlen mit besonderer Aufmerksamkeit zu betrachten: Wo sind die großen Mengen? Was ist am Beliebtesten? Bei der österreichischen Bierstatistik landet man da unweigerlich bei hellen, untergärigen Bieren, die wahlweise als Märzen, Lager oder einfach Helles verkauft werden. Sechs von zehn in Österreich verkauften Bieren fallen in diese Kategorie, mehr als jeder zweite Biertrinker sagt, dass er diesen Typus gerne trinkt. Pils, Zwickl und Weizen folgen mit deutlichem Abstand.

Es lohnt aber ein Blick auf die Details: Wer genau trinkt so gerne Märzenbier? Es stellt sich heraus, dass die Märzenbiertrinker vor allem in der Gruppe jener Konsumenten zu finden sind, die sich über Jahre daran gewöhnt haben. Klar: Wer vor 30 Jahren seinen persönlichen Bier-Favoriten gefunden hat, wird diesem meistens treu bleiben. Diese Biertrinker machen einen gesunden Grundstock des konservativen Genussmenschen aus – und, ehrlich gesagt: Wer sein Lieblingsbier gefunden hat, kann damit bis an sein Lebensende glücklich werden.

Aber da gibt es jüngere Konsumenten mit anderen Präferenzen. Menschen, die weniger Treue beim Genuss zeigen – die mal ein Weizenbier zum Fisch, ein Bockbier zum Fleisch und ein Pale Ale zum Dessert trinken; die ein Pils im Stehen und ein Stout im Pub nicht verschmähen. Weltläufige Craftbier-Trinker. Oder auch zünftige Trachtler, denen beim Volksfest der Maßkrug mit dem Spezialbier nicht groß genug sein kann – auch wenn sie sonst mehr als maßvoll genießen.

Der Blick auf diese kleinen Segmente, auf die ungewöhnlichen Biere und die ungewöhnlichen Gelegenheiten, zu denen sie getrunken werden, eröffnet eine andere Perspektive der Bierkultur: Es gibt Menschen, die durchaus noch für den Biergenuss anzusprechen wären – aber vielleicht nicht mit dem konservativen Angebot.

THESE 7
"DIE BIERTRINKER VON HEUTE SIND ANDERE ALS JENE VON VOR 10 JAHREN.“

Kultureller Wandel passiert nicht von heute auf morgen. Und auch nicht von einem Jahr auf das nächste Jahr. Aber er passiert. Schon deshalb, weil sich die Träger der Kultur ändern. Die demographischen Fakten sprechen für sich: 2009 lebten 8,3 Mio. Menschen in Österreich, 2018 waren es bereits 8,8 Mio. Nein, das heißt nicht unbedingt, dass es heute eine halbe Million mehr Biertrinker gibt als noch bei der Vorlage des ersten Bierkulturberichts. Aber auch wenn einige dieser dazugekommenen Personen aus religiösen oder anderen Gründen keinen Alkohol trinken, so sieht man doch, dass die Zahl potenzieller Biertrinker gestiegen ist.

Und noch etwas muss man bedenken: Im Schnitt werden jedes Jahr zwischen 84.000 und 95.000 junge Menschen in Österreich erwachsen – und das bedeutet, dass viele erstmals ihren Zugang zum Biergenuss finden. Manche finden genau die Biere gut, die auch ihre Eltern und Großeltern mögen. Aber man kann niemandem verdenken, wenn er oder sie sagt: „I don’t drink my father’s beer.“ Bitte sehr: Es muss ja nicht das gleiche Bier sein, das alle kennen (oder zu kennen glauben).

Tatsächlich sind es oft junge Konsumenten, die ganz neue Biergeschmäcker probieren – Biere mit sehr viel intensiverem Geschmack als das verbreitete Märzenbier. Und Biere mit sehr viel Charakter.

THESE 8
"MUT IST DIE WICHTIGSTE BIERZUTAT.“

Randerscheinung. Statistisch gesehen sowieso, und auch im Bewusstsein der Befragten in den Bierkultur-Umfragen: Nur 18 % können als Craftbier-Trinker eingestuft werden; die wenigsten davon als reine Craftbier-Trinker. Umgekehrt: Viele können nicht einmal mit dem Begriff etwas anfangen,

und das verwundert kaum, weil der Begriff ja auch unter den Trägern der Craftbier-Szene recht umstritten ist.

Was aber unumstritten ist – Craftbiere sind anders als das gängige Angebot. Weiter gefasst: Alle Bierinnovationen sind ein deutlich anderes Angebot als das, was schon auf dem Markt etabliert ist. Weder das 100ste India Pale Ale ist besonders innovativ, noch das 100ste Märzenbier.


Für die Bierbrauer heißt das, dass Mut die wichtigste Bierzutat ist, wenn man ein innovatives Bier brauen will. Nur ein kleines bisschen anders zu brauen als man es bisher getan hat, macht noch keine Innovation aus. Doch ein sehr bitteres, sehr süßes, sehr saures oder auch sehr dunkles, sehr helles, sehr starkes Bier zu brauen, ist mit einem gewissen Risiko behaftet. Es könnte jene vor den Kopf stoßen, die mit dem Angebot ohnehin zufrieden sind. Macht nichts. Die müssen es ja nicht trinken. Und man muss die konservativen Biertrinker auch nicht dort „abholen“, wo sie zufrieden das bestehende Angebot genießen. Man muss ein radikal anderes, überraschendes Angebot machen.

Da kann man dann selbst die eine oder andere Überraschung erleben. So gilt als ausgemacht, dass viele Frauen Biere ablehnen, weil sie „zu bitter“ sind. Und das, obwohl dieselben Frauen durchaus andere bittere Getränke mögen. Passt nicht zusammen? Vielleicht dann, wenn man versteht, dass mit „zu bitter“ oft gar nicht die Bittere des Bieres gemeint ist – sondern einfach, dass es eben nicht schmeckt. Dieselben Personen, die gängiges Bier als „irgendwie zu bitter“ ablehnen, sagen bei sehr viel stärker gehopften Bieren oft, dass sie diese gar nicht bitter finden. Weil sie darin einen ganz anderen Geschmack als die Bittere entdecken.

Wenn Konsumenten und vor allem Konsumentinnen den Mut haben, das zu kosten, müssen Brauer eben auch den Mut haben, es ihnen anzubieten.

THESE 9
„WER RADLER TRINKT, MUSS NICHT UNBEDINGT RAD FAHREN.“

Die Österreicher sind ein Volk von Radfahrern – auch wenn Fahrräder im Stadtbild unserer Städte nicht so auffallen wie etwa in den Niederlanden. Die 8,8 Mio. Einwohner besitzen aber sechs Mio. Fahrräder. Und weil sich Radfahren – wie das Lenken eines jeden Fahrzeugs – nicht mit hohem

Alkoholkonsum verträgt, wurde schon Ende des 19. Jahrhunderts der „Radler“, also ein Biermischgetränk mit weniger Alkohol, erfunden. Rund 673.000 hl Radler, immerhin 7,2 % des Ausstoßes, weist die Bierstatistik für das Jahr 2017 aus – ein deutliches Plus gegenüber dem Vorjahr.

Es ist nicht klar, ob zwischen der gestiegenen Zahl an Fahrrädern und der gestiegenen Menge an Radler eine echte Korrelation besteht – es ist aber offensichtlich, dass Radler populär ist. Weil er sportlich wirkt und weil die Bier-Limonaden-Mischung offenbar auch geschmacklich den Erwartungen

entspricht. So sehr, dass österreichische Radler ein Exporterfolg sind. So sehr, dass österreichische Radler- Rezepte inzwischen in andere Länder lizensiert worden sind. Und so sehr, dass man leicht übersieht, dass Radler bei weitem nicht nur von Radfahrern getrunken werden.

Zwar bekennen sich vor allem junge Konsumenten zum Radler-Genuss – aber der Markt für Radler ist noch gar nicht voll abgesteckt: Viele Menschen, die Bier bisher noch gar nicht schätzen gelernt haben, tasten sich über Biermischgetränke an den Biergeschmack heran.

THESE 10
„ALKOHOLFREIE BIERE BEREICHERN DAS SPEKTRUM DER BIERKULTUR.“

Alkoholfreies Bier – das ist für viele Bierfreunde allenfalls eine Verlegenheitslösung. Für den Krankheitsfall. Oder vor langen Autofahrten. Und da stecken eine ganze Menge Vorurteile drin.

Wahr ist: Das Angebot an alkoholfreien Bieren hat sich in den vergangenen Jahren deutlich erbreitert – es gibt vom alkoholfreien Weizen über alkoholfreies Helles und alkoholfreies Pils bis hin zum alkoholfreien Pale Ale eine breite Auswahl an Stilen, die eben auch ohne Alkohol angeboten werden; und zwar oft so, dass man gar nicht merkt, dass da gar kein Alkohol dabei ist.

Wahr ist aber auch: Noch ist alkoholfreies Bier ein Nischenprodukt. Nur etwa ein Fünftel der für den Bierkulturbericht befragten Biertrinker kann sich für die alkoholfreien Varianten der Biere erwärmen. Aber es gibt immer mehr Konsumenten, die bei entsprechender Gelegenheit zu alkoholfreiem Bierangebot greifen – vier von zehn Befragten geben an, heute öfter beziehungsweise mehr alkoholfreies Bier zu trinken als früher. Und das wird sich weiter entwickeln – wenn das Angebot stimmt.

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