WELTBÜRGER DER BIERKULTUR

Österreich hat nicht unwesentlich zur Biergeschichte beigetragen. Anton Dreher braute in Schwechat mit dem Wiener Lager das erste untergärige Lagerbier und gab den Startschuss für eine Revolution in der Bierwelt. Aber sind Lagerbiere deshalb österreichisch? Ist es unser Märzenbier?

Land der Berge, Land des Märzen, könnte die Hymne auch gehen. Mehr als die Hälfte der Biere, die im Land am Strome gebraut werden, sind „Märzen österreichischer Brauart“. Es ist auch jene Biersorte, zu dem die Österreicher laut Umfrage „sehr gern“ (26 %) oder „eher“ (29 %) greifen und das auch tatsächlich rund 64 % des verkauften Bieres im Land ausmacht. Bis zum Ende des letzten Weltkriegs besaß das Märzen einen Stammwürzegehalt von 15°, also etwas weniger als ein Bockbier. Dann allerdings verordnete die Regierung eine Preissenkung, damit es leistbarer wurde. Unter der Bedingung, das Märzen dann nur mit 12° zu brauen, gingen die Brauereien darauf ein. Entstanden ist damit aber ein Bierstil, welcher nicht so recht einer Biersorte zuzuordnen ist – aus internationaler Perspektive ist es nämlich zu kräftig für ein Lagerbier, zu schwach für ein Märzenbier. Es ist somit eine österreichische Eigenart, sicher, aber ist es deshalb schon ein österreichisches Bier? Keine Frage, ein so individueller Charakter wie ein Irisches Stout, ein Fränkisches Rauchbier oder ein Englisches Real Ale ist es nicht. Das hat natürlich Vor- wie auch Nachteile. Oft sind es gerade diese für eine bestimmte Region typischen, eigenwilligen Biere, die Außenstehende – positiv formuliert – etwas ratlos zurücklassen können und so nicht unbedingt geeignet sind, um die jeweilige Bierkultur nach außen hin im großen Stil populär zu machen.

Der Nachteil freilich ist, dass der österreichischen Bierkultur ein leicht identifizierbares Alleinstellungsmerkmal fehlt, an dem sich das spezifisch „Österreichische“ unserer Bierkultur festmachen lässt. Das hat zwei Gründe: Zum einen ist Österreich historisch und kulturell aufs Engste mit dem Rest Mitteleuropas, der Wiege der dominanten, modernen Bierstile dieser Welt, verflochten. Es macht wenig Sinn, sich mit Bayern und Tschechien um Innovationen und Traditionen der Bierkultur zu streiten. Während das Innviertel lange bayrisch war, waren Böhmen und Mähren Kronländer der Monarchie – vom Austausch von Menschen und Ideen ganz zu schweigen. Wie soll man es auch einordnen, wenn im 19. Jahrhundert Wiener Forscher in Mähren die erste weltweit erfolgreiche Hanna-Braugerste anbauen und ein bayrischer Braumeister in Böhmen das erste Pils braut? Zum anderen wurden „österreichische“ Bierstile aber natürlich auch Opfer ihres eigenen Erfolges. Über 90 % der Biere, die heute auf der Welt getrunken werden, sind untergärige Lagerbiere, die als Nachfahren des „Wiener Lager“ ihre Wurzeln eben nicht nur auf österreichischem Boden haben, sondern diese auch mit dem eng verwandten „Märzen österreichischer Brauart“ teilen. Also jenem Bier, das wir selbst eben als typisch für unser Land empfinden.

Als der Bierkulturbericht vor 10 Jahren zum ersten Mal veröffentlicht wurde, wäre man vor einigen Herausforderungen gestanden, wollte man Wiener Lager trinken – das allererste untergärige Lagerbier der Welt. Jenseits des Atlantiks, wo der Craft-Beer-Boom bereits eine erste Blüte erreicht hatte, gab es 2009 den einen oder anderen Produzenten. In seiner Heimat dagegen? Fehlanzeige. Natürlich hat sich die Situation seitdem völlig gewandelt, die letzten 10 Jahre waren in vielerlei Hinsicht gut zur österreichischen Bierkultur. Nicht zuletzt gibt es heimische Brauereien, die das Wiener Lager wieder in ihr Programm aufgenommen haben. Schwechater, jene Brauerei, wo der Klassiker einst aus der Taufe gehoben wurde, belebte es anlässlich des 175. Geburtstags der bahnbrechenden Erfindung wieder: „Das Jubiläum war für uns Grund genug, das ‚Schwechater Wiener Lager‘ stark an frühere Aufzeichnungen angelehnt zu brauen. Aber es trägt natürlich auch die Craft Bier-Bewegung dazu bei, dass Menschen verstärkt Interesse am Bier und seiner Vielfalt haben. Das gibt uns Braumeistern die Möglichkeit, neue – oder in diesem Fall fast vergessene alte – Wege zu gehen, und es ist spannend, wie sehr sich Biergenießer noch heute an einer Spezialität erfreuen, die auch im 19. Jahrhundert bestens geschmeckt hätte“, erzählt Braumeister Andreas Urban.

Während das Wiener Lager unter den hellen, ausgewogenen Lagerbieren heute durch seine eher rötlich-dunkle Bernsteinfarbe und leichte Röstaromen hervorsticht, war es 1841 eine vergleichsweise helle, dezente Abkehr von den gängigen dunklen, strengen und, aus heutiger Sicht, wenig genießbaren Bieren, die sonst in Wien serviert wurden: „Anton Dreher erlangte bereits in Böhmen Erkenntnisse über die Malzlösung und den richtigen Zeitpunkt zur Beendigung des Wachstums. In England lernte er das langsame, schonende Mälzungsverfahren und die Herstellung von hellem Malz kennen, das rein und frei von rauchigen Aromen ist,“ sagt Urban zu dieser Innovation. Die Gärungstechnologie – kalte Gärführung und Lagerung in gekühlten Kellern – hatte Dreher dagegen in Bayern genau studiert. Aus dem mit böhmischen und englischen Erkenntnissen hergestellten „Wiener Malz“ braute Dreher also ein lange kalt gelagertes Bier nach bayrischem Vorbild.

Wie österreichisch war also die Revolution, welche das „goldene Wiener Bierjahrhundert“ und die helle, untergärige Brauwelt einläutete, die wir heute kennen? Einerseits sehr: Das 19. Jahrhundert setzte auf Wissenschaft und Technologie. Seit tausenden von Jahren wurde nach Versuch und Irrtum gebraut. Was etwa auf mikrobiologischer Ebene vor sich ging, begann man erst damals zu verstehen. Und das Industriezeitalter hatte natürlich zum Ziel, ein Produkt von immer verlässlicher Qualität zu schaffen, das möglichst breiten Anklang fand. Pragmatisch, konsensorientiert, auf Qualität aus – das klingt schon sehr österreichisch. Andererseits gibt es auch in anderen Sparten der Kultur ähnliche Debatten. War Franz Liszt, der im damals westungarischen Burgenland zur Welt kam, Österreicher? War der deutsch schreibende Prager Kafka einer? In solchen Streitfällen gibt es eine elegante Lösung: Liszt wird dann zum Weltbürger der Musik, Kafka zu einem der Literatur. Sie gehören der ganzen Menschheit, und auch für das Wiener Lager scheint das angebracht – Weltbürger der Bierkultur.

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